Der soziale Bereich ist oft ganz schön nah dran an medizinischen Weltsichten: Diagnosen, Störungen, Heilmittel… Das finden wir oft problematisch und so wichtig, dass wir im September Eugene Epstein zu uns eingeladen haben, um einen Workshop zum Thema zu geben.

Es wäre durchaus möglich, menschliche Probleme anders zu betrachten: statt Problemen in Menschen könnte man sich für Menschen in Problemen beschäftigen, in Krisen, in Not, in Überforderung, und ganz schnell stellt man fest: nicht der Mensch ist verrückt, die Umstände sind es.

Mein liebstes Beispiel dabei ist Burnout: eine individuelle Diagnose zu stellen für eine Situation, wo offenkundig die Arbeitsbedingungen eine große Rolle spielen erfordert eigentlich eine Menge Phantasie… Ich fände es eigentlich naheliegender, über Arbeit zu sprechen anstatt über Burnout oder Depression.

Ähnlich ist es auch bei AD(H)S. Immer mehr Kinder erkranken daran? Nein, immer mehr Kinder zeigen uns, dass Leistungsdruck und aktuelle Schulkonzepte nicht perfekt sind.

Eine meiner narrativen Ausbilderinnen, Sarah Walther, hat oft darauf hingewiesen, dass dieses Abwälzen von Problemen aufs Individuum große Nebenwirkungen hat, und betonte dann immer, dass wir als Professionelle in diesem System eine Verantwortung haben, das im Blick zu behalten.

Für diesen Blick sind die Z-Diagnosen im ICD-10 sehr interessant. Das ICD (international classification of diseases) ist das in Europa gängige Instrument, um Krankheiten zu diagnostizieren. Die F-Diagnosen sind dabei psychische Störungen, mit denen wir oft zu tun haben.

Die Z-Diagnosen wiederum sind sehr interessant, denn sie beschreiben „Personen mit potentiellen Gesundheitsrisiken aufgrund sozioökonomischer oder psychosozialer Umstände“. Hier kann man also Umstände erfassen, die zu Problemen führen, ohne die Person selbst zu pathologisieren. Themen wie Armut und Wohnungslosigkeit (Z59), Isolation (Z60) oder eine Trennung und fehlende familiäre Unterstützung (Z63) sind dadurch erfassbar.

Ich halte es für wichtig, dass diese Z-Diagnosen bekannter werden. Wir sind nicht gezwungen, die häufige Metapher von „beschädigten Menschen“ mitzugehen, sondern können auch im bestehenden System benennen, wenn die Umstände das Problem sind.

Wie Michael White so schön sagte: The person is not the problem; the problem is the problem.

Übrigens will ich damit nicht sagen, dass Diagnosen niemals hilfreich sind. Oft profitieren Menschen davon, wenn sie klarer benennen können, was sie haben, und die medizinische Metapher bietet manchmal hilfreiche Erklärungen und Lösungsansätze.

Aber eben nicht immer, und – meiner Meinung nach – seltener als man sie gerade anwendet.

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